Die Laguna Veneta, oder: Mountainbiking einmal anders
zuerst veröffentlicht im Bergzeit Blog – offline – (3. Dezember 2014)
Mit dem Bergradl unterwegs in platter Landschaft? Auf den ersten Blick mag das passen wie die Faust auf’s Auge, doch ein zweiter Blick lohnt sich, denn die Landschaft um die Lagune von Venedig zu durchradeln, ist ein Erlebnis.
Im September, als sich die Saison an der italienischen Adria zum Ende neigt und die große Touristenmasse schon wieder zu Hause weilt, ist für uns die Zeit gekommen, diesem schönen Fleckchen Erde einen Besuch abzustatten. Nach einigen kräftezehrenden Wander- und Mountainbike-Touren in den norditalienischen Alpen und einem süddeutschen Sommer, der keiner war, ist die Aussicht auf Strand und Meer unter der Sonne des Südens doch allzu verlockend. Ein kleiner Spaziergang am ersten Tag führt uns über einen neu erbauten, idyllisch direkt am Wasser entlang führenden Radweg, den wir einige Tage später unter die Stollenreifen nehmen.

Ausgangspunkt der Tour ist Cavallino, Ortsteil der Gemeinde Cavallino-Treporti. Lichte Kiefernwälder und goldgelbe Sandstrände dominieren die dem Meer zugewandte Seite der Litorale del Cavallino. Ausgedehnte landwirtschaftlich genutzte Flächen mit kleinen und größeren Wasserläufen, immer wieder unterbrochen durch schmuck herausgeputzte und liebevoll vergammelte Anwesen sind Kennzeichen der Landschaft an der Laguna Veneta. Kleine Nebensträßchen führen uns weg vom Strand. Ein Seidenreiher lässt sich bei seinem Frühstück nicht von uns stören. Wir radeln bis zum neu erbauten Einkaufszentrum an der Via Fausta, wo wir uns den ersten Cappuccino und ein zuckersüßes Brioche mit Marmelade gönnen.
Auf der recht stark befahrenen Strada Provinciale Jesolana überqueren wir den Sile-Piave Vecchia und radeln Richtung Lido di Jesolo. Rennradler, Mountainbiker, Hollandradler, Mofa-, Motorrad- und Autofahrer teilen sich an diesem warmen Spätsommertag die schöne Allee mit dem klangvollen Namen „Via Roma Destra“ so friedlich wie rücksichtsvoll.

Der Badeort Lido di Jesolo versprüht so recht den Zauber des Südens, und ich beginne zu verstehen, warum die ersten Deutschen der fünfziger und sechziger Jahre auf ihrer Suche nach der Auszeit vom Alltag in der Wirtschaftswunder-Republik mit dem vollgepackten Käfer über die Alpen an die Adria getuckert sind, wieso Italiens Adriaküste das Arkadien urlaubssehnsüchtiger Bundesbürger der Nachkriegszeit war und das Image des „Teutonengrills“ bis heute trägt. Der breite Sandstrand, mit Sonnenschirmen und Strandliegen geschmückt, schimmert in der Vormittagssonne goldgelb vor dem tiefblauen, ruhigen Meer.
Unser Blick schweift weit hinaus. Das Segel eines Segelbootes ist nur halb zu sehen. Mehr nicht. Der Rest ist unter den Horizont gerutscht.
Jenseits des Strandes stehen Hotels mit quietschbunter Fassade. Die ellenlange Flanier- und Einkaufsmeile, die sich parallel zum Strand zieht, durchradeln wir gemütlich und beobachten amüsiert, wie ein Paketdienstfahrer vergnügt aus der Eisdiele schlendert, zaghaft an seinem großen Straciatella-Eis-Turm auf zu kleiner Waffel nippt und das Gebilde schließlich zum großen Entsetzen seines eishungrigen Besitzers mit einem satten „Platsch!“ auf dem heißen Asphalt landet.
La Pineta di Jesolo ist unser nächstes Ziel. Jesolos Pinienwald nahe der Mündung des Canal Cavetta in Piave queren wir im Zickzack, um die vielen schön gelegenen Campingplätze, die Ferienwohnungen und -häuser zwischen ausgedehnten Pinienbeständen anzusehen. Die Viale Oriente führt uns schließlich über den in die Piave mündenden Canale Cavetta zum Fischerdorf Cortellazzo. Wir radeln weiter entlang der Piave Richtung Norden auf der Via Massaua, einer schmalen, wenig befahrenen Straße auf einem Damm, und haben bald die Qual der Wahl – rechts unterhalb der Straße zieht sich nämlich ein wunderschöner, schattiger Single-Trail direkt am Ufer der türkisfarbenen Piave entlang. Das schmale Weglein ist Teil des Percorso rosa von Ambient Bike Jesolo und entsprechend beschildert. Da wir aber nicht auf den Genuss der schönen Ausblicke, welche die Via Massaua auf das Umland mit seinen ausgedehnten Wein-, Gemüse und Getreidefeldern bietet, verzichten wollen, wechseln wir immer wieder zwischen der Straße und dem Trail am Ufer.

