Wandern im Larséc – abseits von Laurins Reich​

zuerst veröffentlicht im Bergzeit Blog – offline – (9. November 2012)

„Larsec, du Land meiner Sehnsucht, du meine zweite Heimat!“ Enthusiastisch pries Georg Jasker aus Hamburg im Jahre 1930 die im Südosten des Rosengartens gelegene Felsenburg. „Der Zauber König Laurins hält dich umfaßt, und auch heute noch liegst du im tiefen Zauberschlaf.“ Was Jasker zwischen den Kriegen schrieb, hat seine Berechtigung noch heute – das Wandern im Abseits von Laurins Reich zwischen Gran Cront und Antermoa ist ein sehr einsames. „Hin und wieder hat dieser und jener versucht, dich, Larsec, aus dem Schlaf zu wecken; doch so recht ist es noch keinem gelungen“, schrieb Jasker. Das Antlitz der von Hans Dülser in Sommer und Winter 1913/14 zu Fuß und auf Ski erschlossenen Gebirgsformation scheint ob ihrer Schroffheit abschreckend zu wirken.

Doch gerade dieses Image des Unnahbaren wirkt auf mich wie ein Magnet, und im Sommer 2012 mache ich mich auf, die zwischen Val de Vaiolét und Scalieret, Valon de Antermoa und Val de Udai gelegene Region zu erkunden. Am Liftparkplatz von Pera di Fassa steige ich in den Shuttle-Bus, der mich hinauf nach Gardeccia bringen soll. Die Busfahrt auf der schmalen Straße durch das untere Val de Vaiolét ist bisweilen abenteuerlich und gleicht einem Slalom um sich bergan mühende Mountainbiker und Rennradler. Mein Magen ist nicht mehr der Beste, als ich 630 Höhenmeter später aus dem Bus klettere.

Ausgangspunkt der Tour: Rifugio Gardeccia

Bald aber drängen sich andere Dinge in den Vordergrund, und ich vergesse das Grummeln. Gemütlich bummele ich mit einer Horde von Wanderern auf dem breiten Weg 546, der hinter der Rif. Gardeccia auf einer Höhe von 1.949 Metern beginnt. Mein Ziel ist ein recht unscheinbar ausschauender Mugel, der 2.891 Meter hoch ist und auf den wohlklingenden ladinischen Namen “Cima Scalieret” hört.
Nach einer Weile baut sich vor dem stahlblauen Morgenhimmel ein Felsvorsprung auf, auf dem kühn eine Hütte thront: die porte neigre mit der Rif. Preuss (2.243 m).

Die Rif. Preuss auf ihrem Thron porte neigre

Auf der Terrasse der Preuß-Hütte, die benannt ist nach dem österreichischen Alpinisten Paul Preuß (1886-1913) und 1933 von Tita Piaz zu Preuß’ Gedenken errichtet wurde, genehmige ich mir einen Cappuccino, bewundere die Kulisse ringsum, besichtige die benachbarte, 1897 von der Sektion Leipzig des DÖAV erbaute Rif. Vajolet (2.243 m) und wende mich schließlich ernsteren Aufgaben zu. Über den viel begangenen Weg 584 erreiche ich die Abzweigung zum Sentiero Don Guido.

Sentiero Don Guido: Bergpfad zur Cima Scalieret
Links unterhalb der Spiz da le Pope steige ich über schrofiges Gelände zum Pas da le Pope (2.720 m) auf. Zum Glück weisen mir rote Markierungen den Weg, der keiner ist – die Steigspuren sind oft kaum sichtbar. Vielleicht ist auch die Steilheit des Pfades schuld, dass er so wenig begangen ist. Jetzt bin ich ganz alleine mit einer zauberhaften Bergnatur.

Am Pas da le Pope wende ich mich nach links und steige steil bergan über den Schrofen der Scalieret-Westwand. Immer wieder halte ich an, blicke hinunter ins zauberhafte Val de Vaiolét und bewundere im Kontrast die berühmten Torri del Vaiolét, die mir von der anderen Seite des Tales herüberdrohen.
Schließlich erreiche ich den Gipfel der Cima Scalieret (2.891 m), und ich werde für die Aufstiegsmühen überreichlich belohnt durch eine großartige Aussicht auf die bizzare Welt von König Laurin. Aus der Ferne grüßen Langkofel und Palagruppe. Ins Gipfelbuch schreibe ich einen Spruch von Friedrich von Schiller, der meine Stimmung widerspiegelt: „Auf den Bergen ist Freiheit. Der Hauch der Grüfte steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte.”

Am Gipfel der Cima Scalieret

Auf der Cima Scalieret ist Freiheit – frei nach Schiller.
Ich gehe über den mit Steinmännchen markierten, ausgesetzten, aber nicht steilen Nordgrat weiter, die hoch aufragende Südwand des stolzen Dreitausenders Antermoa (3.002 m) vor Augen, wenn mir nicht gerade eine Nebelbank die Sicht nimmt. Der Nebel verleiht den blassen Zacken und schrofigen eine mystische Stimmung. Geröllig, schrofig, einer Mondlandschaft gleich präsentiert sich die Landschaft an den Übergängen Pas de Scalieret (2.787 m) und Pas de Antermoa (2.770 m).

Antermoa, ein stolzer Dreitausender

Am Fuße des Antermoa mündet der Pfad ein in den Weg 584, der mich mit den ersten Regentropfen in die Rif. Principe (2.601 m) bringt. Die gemütliche Atmosphäre in der Hütte macht mir den Abschied nicht gerade leicht, doch ich muss weiter, der Regen hat aufgehört, der Abend naht.
Den Weg 584 unter den Wanderstiefeln, genieße ich beim Bergabspazieren abermals die grandiose Landschaft des Val de Vaiolét zwischen Torri del Vaiolét und Ciadenac zu meiner Rechten und den Erhebungen des Larséc zur Linken, passiere abermals Rif. Preuss und Vajolet und komme schließlich über den Weg 546 zurück zum Ausgangspunkt Gardeccia. Auf eine Busfahrt habe ich keine Lust. So gehe ich weiter, nehme den Weg 540 nach Ciampedie, und Jasker spricht mir aus dem Herzen: „Abschiednehmen ist immer hart. … Im Trauermarschtempo wandern wir schweigsam nach Ciampedie.“ Mein Trauermarsch endet an der Bergstation der Catinaccio Funivie. Kurz darauf schwebe ich in der modernen Gondel hinunter nach Vigo di Fassa.

Wandern im Larséc: Wissenswertes

Anspruchsvolle Wandertour für erfahrene Berggeher. Bei dichtem Nebel, Schneefall und starkem Regen nicht empfehlenswert.

Start: Gardeccia im Val de Vaiolét, erreichbar via Shuttle-Bus (kostenpflichtig) vom Liftparkplatz Pera di Fassa, mit dem Mountainbike oder Rennrad vom Fassatal aus (Straße für öffentlichen Verkehr gesperrt, aber während der Saison stark frequentiert durch Shuttle-Busse), von Vigo di Fassa Auffahrt mit Seilbahn Catinaccio Funivie oder Aufstieg über Weg 544 bis Ciampedie und weiter auf Weg 540 bis Gardeccia.


Einkehrmöglichkeiten: Gasthäuser in Gardeccia, Rif. Preuss, Rif. Vajolét, Rif. Principe, Rif. Ciampedie.

Kartenmaterial und Literatur für Bergwanderer im Larséc

  • Kompass WK 686, Val di Fassa. Marmolada, Gruppo di Sella, Catinaccio. 1:25.000.
  • Val di Fassa, Wanderkarte Latemar, Rosengarten, Langkofel, Sellagruppe, Marmolada, Monzoni.
  • Lasker, G. (1930). Larsec-Erinnerungen. Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Band 61, S. 253-263